Dantesche Perspektiven zwischen Unterwelt und Ekstase Die Reise der Göttlichen Komödie zu den Orten der Seele
Michael Franke verbindet seit über 40 Jahren eine intensive kulturelle Beziehung mit Italien. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich künstlerisch mit Dante Alighieri und malte Bilder zu Motiven der Göttlichen Komödie. Sein Bilderzyklus, mit 20 Arbeiten, wurde 2021, anlässlich des 700sten Todestagen des Dichters, im Palazzo Firenze, dem Sitz der Dantegesellschaft in Rom gezeigt.
Am 12. Januar wird in Wachtberg, im Atelier des Künstlers, ein Großteil der Ausstellung nochmals präsentiert. Ludger Scherer (Romanist, Literaturwissenschaftler und Dante-Experte) wird bei dieser Gelegenheit eine Lectura Dantis vortragen und Michael Franke wird durch die Ausstellung führen, die er zuvor in Rom präsentiert hatte, und einiges zu den Arbeiten und seinen Recherchen erläutern.
In der Broschüre, die zu seiner römische Ausstellung erschienen ist, wurde das Projekt mit den folgenden Texten vorgestellt:
Dantische Bildwerdungen zwischen Unterwelt und Ekstase
Die Reise der göttlichen Komödie zu den Orten der Seele
Die malerische Suche des Künstlers Michael Franke ist eine Reise in dantische Landschaftsräume, welche den Blick in metaphysische Dimensionen öffnen möchte, durch die der Dichter in zeitlosen Metaphern das Licht und die Räume seiner Jenseitsreise beschreibt.
Im Angesicht der Bildwelten, die Dante aus den Sphären seiner drei Jenseitsreiche hervorbringt, erwachsen landschaftliche Visionen von Inferno, Läuterungsberg und Paradiso. Sie haben sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder transformiert und sich gleichzeitig als Abdruck ins Ahnengedächtnis eingeschrieben.
Der Bilderzyklus, den Michael Franke geschaffen hat, lenkt den Blick in jene mythischen Landschaften, zu den beseelten Orten der Göttlichen Komödie hin, die zugleich Orte der Seele sind und die durch die dantische Kosmologie das kollektive Unterbewusstsein geprägt haben.
Es sind Orte, die auch 700 Jahre nach dem Tod des Dichters in einer individuellen Realität im Inneren des Menschen fortleben. Orte, die zu keiner geographischen Region sondern zu einer Ikonographie innerer Landschaft gehören, die der menschlichen und existenziellen psychischen Kondition. Der Künstler schuf seinen Bilderzyklus als einen Weg zum Licht, als universal-visionären Pilgerpfad durch die metaphysischen Räume der dantischen Jenseitsreiche.
Der Generalsekretär der Dantegesellschaft Alessandro Masi verfasste ebenfalls eine kritische Würdigung des Bilderzyklus. Anbei die deutsche Übersetzung seines Textes:
Non preavalebunt!
Wir sind auf dem Höhepunkt der festlichen Veranstaltungen zum 700. Todestag des Dichterfürsten. In diesem Jahr nahmen die Feierlichkeiten für Dante Alighieri die verschiedensten Gestalten an und in großer Vielfalt hat man des Autors gedacht, um auf neue Weise die Göttliche Komödie zu interpretieren – die größte Dichtung in der Geschichte des Abendlandes. Unter all diesen hat der Maler Michael Franke die ihm vertrauten Mittel gewählt, er hat – um das Gedenken an den illustren Florentiner zu ehren – seine besten Werkzeuge zur Verfügung gestellt: Farben und Pinsel. Die Auswahl der Exponate, die wir hier präsentieren, ist das Endresultat eines anhaltenden und ausdauernden Schaffensprozesses, durch den der deutsche Künstler mittels der ihm angeborenen Kraft zur Vision die Textur jener Gewebe neu ineinander schichtet und so auf beste Weise der göttlichen Vision des Dichters nahekommt.
„Nie versagt ihm die Stimme am Staube / wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift“, schreibt Rainer Maria Rilke in seinen Sonetten an Orpheus. Nie spürte Farbe besser den Bannspruch dieser Worte auf, niemals besiegen Finsternis noch Dunkelheit den göttlichen Willen, nie unterliegt das Licht dem Schattenreich des Bösen.
Non praevalebunt!
In diesem der Göttlichen Komödie gewidmeten Bilderzyklus nimmt es der Künstler mit dem kaleidoskopischen Widerhall der dantesken Bildersprache auf, beschworen durch die Macht der Poesie. Es ist die Herausforderung zum Hinabsturz aller Formen nach den Abgründen der Hölle hin, die Herausforderung Wirbel aus Farbe in die morgenrötliche Höhlung des Purgatoriums hinein zu wölben, die Herausforderung zum allerhöchsten Licht des Empyreum im Paradiso emporzustreben. Es ist ihm eine fast schmerzliche Anspannung zu eigen, durch welche die condition humaine ihre eigene Schuld nur dann zu läutern vermag, wenn sie sich wider die Materie, aus der sie besteht, zur allumfassenden Einheit macht; wenn sie nicht hinab taucht in das Universum des Magmas, wenn sie nicht die Energie des aller-ersten Bewegers, in dem sie ihren Ursprung nahm, in neues Licht verwandelt und transformiert.
„Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein / Auf still verborg‘nem Pfad der edle Weise,“ schreibt Dante zu Beginn des zehnten Gesanges des Infernos, und treibt uns hinein in innere Finsternis – die gleiche nämlich, mit der auch Franke die Kraft jener Malerei bemisst, wenn diese das Gewebe der Poesie aufbricht, indem er sie reduziert auf eine gedrängte Ansammlung unbändiger Form, perpetuiert in immerwährender tellurischer Bewegung.
Der russische Dichter Osip Mandelstam schreibt: „Das gesamte Werk Dantes ist durchströmt von einer permanent neue Formen gebärenden, dauergespannten Energie; es ist wie ein streng stereometrischer Körper“. Mit dem gleichen energetischen Prinzip erschafft Franke die dritte Dimension seiner Raumaufteilung, die er nach langem Ringen mit der Materie erreicht. Materie, die er zerreißt bis ins Essenzielle, bis hin zur äußersten Aufgabe der Endlichkeit. Seit jeher webt der deutsche Maler dichte Gebilde aus Farbe, mittels derer er seine Bilder ins Unerreichbare ausdehnt und Raumgrenzen überschreitet. Seine Kunst kommt in den Fjorden der Kunstgeschichte des Nordens zur Welt. Es sind die von ewiger Suche nach dem Prinzip lichterfüllter Wahrheit strebenden Gipfel, die sich bei jedem Aufgang der Sonne im Osten, bei jedem Untergang oder Abstieg im Westen mitbewegen. Wie ein „grand tourist“ als neuer Geist im Genius von Goethe richtet Franke seine Kunst nach dem Licht des mediterranen Südens aus, wie ein Nachtfalter nach der entzündeten Lampe hin. Seine schöpferische Gestik wird angezogen von jener Himmelsmechanik, aus der sich leuchtende Universen bilden, so als wolle er diese noch einmal von innen durchlaufen, sie aller Körperlichkeit entleerend, sich ihre Inhalte aneignend, um sie in der körperlichen Unabwendbarkeit anzuprangern.
Dantes Erfahrungswelt ist in diesen Bildern so tief inkarniert, dass sie wie in einer Obsession einen Weg der Hoffnung zur Erlösung der Materie, einen immerwährenden Kampf gegen die Finsternis eröffnen, welche am Ende der durchlittenen Pilgerreise niemals siegen wird.
Rom, 31 Oktober 2021
Alessandro Masi